Menschenrechtswidrige Brechmittelvergabe: Verantwortung übernehmen und einen Ort des Gedenkens und Mahnens schaffen

Zwischen 1992 und 2004 verabreichte die Polizei in Bremen in weit mehr als tausend Fällen Brechmittel, wenn Personen verdächtigt wurden, mit Drogen gehandelt und Beweismittel verschluckt zu haben. Weigerten sich die Betroffenen, den Brechsirup einzunehmen, wurde er ihnen in vielen Fällen zwangsweise über eine Nasen-Magen-Sonde zugeführt. Währenddessen wurden die Betroffenen festgehalten oder gefesselt. Im Zuge einer solchen Prozedur verlor in der Nacht vom 26. auf den 27. Dezember 2004 der 35-jährige Laye-Alama Condé das Bewusstsein und verstarb am 7. Januar 2005 an den Folgen. Die Praxis der zwangsweisen Brechmittelvergabe wurde daraufhin in Bremen ausgesetzt. Endgültig eingestellt wurde sie erst, nachdem der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte mit Urteil vom 11. Juli 2006 festgestellt hatte, dass es sich bei der zwangsweisen Brechmittelvergabe um eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung handelt, die gegen das Verbot der Folter in Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention verstößt.

Die strafrechtliche Aufarbeitung der Tötung von Laye-Alama Condé endete im November 2013 mit der Einstellung des Strafverfahrens gegen einen Mitarbeiter des Ärztlichen Beweissicherungsdienstes der Polizei Bremen. Das Landgericht begründete die Einstellung mit einer anhaltenden psychischen Erkrankung des Angeklagten und verband sie mit der Auflage, 20.000 Euro an die Mutter des Getöteten zu zahlen. Durch die Verfahrenseinstellung konnte abschließend weder die individuelle Schuld oder Unschuld des Angeklagten festgestellt noch einer möglichen Tatbeteiligung Dritter, noch der massiven Kritik des Bundesgerichtshofs an dem bis dahin durchgeführten Verfahren Rechnung getragen werden.

Nach diesem Abschluss des Strafverfahrens bat der ehemalige Präsident des Senats, Jens Böhrnsen, im Namen aller Bremerinnen und Bremer bei den Angehörigen des Toten um Entschuldigung. Sein Vorgänger im Amt, Dr. Henning Scherf, der über den gesamten Zeitraum der Brechmittelvergabe als Justizsenator fungierte und seit 1995 auch Präsident des Senats war, distanzierte sich mittlerweile in öffentlichen Beiträgen von den damaligen Vorgängen und beteiligte sich an einer kritischen Aufarbeitung der Geschehnisse. Der derzeitige Polizeipräsident, Lutz Müller, drückte in einem persönlichen Schreiben an die Mutter des Getöteten sein Bedauern über den Tod ihres Sohnes aus. Die Polizei Bremen veröffentlichte eine Broschüre zum Hintergrund des Todes von Herrn Condé, in der auch der heutige Senator für Inneres und früherer Justiz-Staatsrat, Ulrich Mäurer, sein tiefstes Bedauern zum Ausdruck brachte. In einer Mitteilung an die Bürgerschaft (Landtag) vom 20. März 2018 (Drucksache 19/1592) hat schließlich auch der Senat „sein tiefes Bedauern über den vermeidbaren Tod von Herrn Condé“ ausgesprochen.

Insgesamt hat sich die Stadtgesellschaft in Bremen – nicht zuletzt auf Anregung der Angehörigen, der „Initiative in Gedenken an Laye-Alama Condé“, der gegenwärtigen Polizeiführung, der Anwältinnen und Anwälte und der Medien – ausführlich mit dem Fall und seiner Vorgeschichte, den Hintergründen und den Konsequenzen auseinandergesetzt. Es ist an der Zeit, dem Gedenken an die zwölf Jahre währende Brechmittelvergabe, bei der ein Mensch in staatlicher Obhut in entwürdigender Weise getötet wurde, einen würdevollen Platz im Stadtbild einzuräumen. Dieser Ort des Gedenkens möge zugleich ein Ort der Mahnung an Politik und Gesellschaft sein, die Verhältnismäßigkeit staatlicher Maßnahmen stets kritisch zu hinterfragen.

Die Bürgerschaft (Landtag) möge beschließen:

1. Die Bürgerschaft (Landtag) ist bestürzt und beschämt darüber, dass die Androhung oder Durchführung einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung wie der zwangsweisen Brechmittelvergabe über zwölf Jahre lang eine seinerzeit übliche Maßnahme der Strafverfolgung in Bremen war und Laye-Alama Condé am 7. Januar 2005 in Folge einer solchen Behandlung zu Tode kam.
2. Die Bürgerschaft (Landtag) nimmt anerkennend die vielfältigen gesellschaftlichen, behördlichen und politischen Initiativen zur öffentlichen Aufarbeitung der Ursachen, Zusammenhänge und Konsequenzen des Geschehens zur Kenntnis.
3. Die Bürgerschaft (Landtag) ist sich ihrer eigenen Verantwortung bewusst, die unmenschliche und erniedrigende Behandlung jahrelang zugelassen zu haben. Sie bittet alle Betroffenen sowie insbesondere die Hinterbliebenen von Laye-Alama Condé dafür um Verzeihung.
4. Die Bürgerschaft (Landtag) befürwortet die Initiative, im öffentlichen Raum der Bremer Innenstadt einen dauerhaften Ort zu schaffen zum Gedenken an das Geschehen und zur Mahnung daran, dass niemand in polizeilicher Obhut einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung unterzogen werden, nachhaltig zu Schaden oder gar ums Leben kommen darf. Die Bürgerschaft (Landtag) fordert den Senat auf, einen Vorschlag für einen Standort zu machen und in Abstimmung mit dem zuständigen Stadtteilbeirat, dem Landesbeirat für Kunst im öffentlichen Raum und der Deputation für Kultur zeitnah und gemeinsam mit allen Beteiligten eine würdige Lösung zu finden. Sie bittet den Senat, innerhalb von sechs Monaten nach Beschlussfassung der Deputation für Kultur zu berichten.

Kai Wargalla, Sülmez Dogan, Björn Fecker und Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Miriam Strunge, Sofia Leonidakis, Nelson Janßen und Fraktion DIE LINKE
Kevin Lenkeit, Mustafa Güngör und Fraktion der SPD